Novac Djocovid

Keine Geschichte ohne ihre grotesken Höhe- bzw. Tiefpunkte. Das gilt auch für Corona. Seit bald zwei Jahren hält SARS-CoV-2 die Welt in Atem. Dieser Tage schreibt das Virus ein besonderes Drehbuch. In der Hauptrolle der serbische Tennisspieler D., dessen Spitzname Djoker von Joker stammt, dem «sensiblen Aussenseiter» (Wikipedia) aus dem Marvel-Comics-Universum. Noch etwas prägnanter ist allerdings sein neuer Spitzname: Novac Djocovid. 

D. wollte am Australian Open 2022 zum statistisch besten Tennisspieler aller Zeiten werden. Schon lange bevor sich die Welt in zuvor nie gekanntem Ausmass mit esoterischem Geschwurbel und Verschwörungstheorien herumschlagen musste, hat D. groteske Geschichte(n) geschrieben. So sagte D. einst im Gespräch mit einem Esoterik-Guru, durch die Kraft des Gebetes und der Dankbarkeit lassen sich die giftigste Nahrung und das am stärksten verschmutzte in das heilsamste Wasser verwandeln. 

Eine beinahe groteske Geschichte anderer Art schrieb D. im Wimbledon-Final 2019 als er im fünften Satz gegen Federer in extremis zwei Matchbälle abwehrte und gewann. Seine Erklärung, wie er das einseitig den Strahlemann unterstützende Publikum wahrgenommen habe, war lapidar: Er habe sich einfach vorgestellt, die Lärmenden riefen Nole statt Roger. Das «Mentalmonster» hatte ein weiteres Kapitel Sportgeschichte geschrieben. 

Und jetzt Melbourne. Auf Twitter liess der ungeimpfte D. am 4. Januar verlauten, er sei unterwegs nach Australien und im Besitz einer Ausnahmebewilligung um einzureisen. In ein Land, das nicht nur für seine äusserst restriktive Coronapolitik, sondern auch für eine unmenschlich harte Asylpolitik bekannt ist. Der Rest ist bekannt. Die exemption permission vom australischen Tennisverband wurde an der Grenze kassiert, die Einreise verweigert und der Star vorübergehend im Park Hotel in Melbourne einquartiert. In ein ehemaliges Hotel, das von der australischen Grenzwache als Haftort genutzt wird. 

Bis der Entscheid über D.s erwartete Abschiebung fällt, spielt sich in der Swanston Street im Zentrum Melbournes ein Schauspiel der besonderen Art ab, denn vor den Medien demonstrieren gleich vier unterschiedlich motivierte Gruppen: In serbische Flaggen gehüllte Fans von D., die zusammen mit Impfgegner:innen gegen die australische Regierung demonstrieren. Jene, die sicher sein wollen, dass der Prominente nicht doch noch eine Sonderbehandlung erhält und schliesslich Menschenrechtsaktivist:innen, welche die Gelegenheit nutzen, um vor der Weltöffentlichkeit gegen die unhaltbaren Zustände in Australiens Abschiebeeinrichtungen zu demonstrieren. 

Die Groteske in Melbourne ist ein weiterer Tiefpunkt in der Karriere eines grandiosen Tennisspielers. Auf welchem Humus diese gedeiht, beschrieb die NZZ am Sonntag schon vor anderthalb Jahren («Novak Djokovic fühlt sich auserwählt») als D. mitten im Corona-Sommer 2021 das Showturnier Adria Tour mit den absehbaren Folgen organisierte. Es ist ein toxischer Cocktail aus Aberglauben, orthodoxer Kirche und serbischem Opferglauben, der einen sprachlos macht. 

Als Tennisfan bin ich gespannt, ob und wie sich D. auch von dieser Krise erholt. Die Medien werden es berichten. Von den geschätzten 33 anderen Menschen, die aktuell im Park Hotel in Melbourne warten, kennen wir dagegen weder ihre Geschichten noch deren Namen. Und das wird so bleiben. Grotesk.

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