Walk this way

«Wir blicken voller Zuversicht in die Vergangenheit», hat einst ein österreichischer Kabarettist gesagt, aber es trifft auch gut die Schweizer Befindlichkeit. Ob Konzernverantwortung, CO2-Gesetz oder Verhältnis zur EU, die Schweiz hat kä Luscht. 

Das gilt auch für die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung, die sustainable development goals (SDGs), auf die sich im Rahmen der Uno-Agenda 2030 vor sechs Jahren in New York alle Staaten, auch die Schweiz, geeinigt haben. Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung dürfte bis heute von den SDGs bzw. der Agenda 2030 noch nie gehört haben, der Agenda 2030-Delegierte des Bundesrats erklärte mir vor einem Jahr wortreich, wieso die Agenda 2030 in der Schweizer Politik noch nicht angekommen ist. Zwar haben Teile der Wirtschaft erkannt, dass Investitionen in Nachhaltigkeit kein linkes Projekt, sondern das Gebot der Stunde sind, aber auch die Schweizer Zivilgesellschaft bekleckert sich beim Voranbringen der Nachhaltigkeitsagenda nicht gerade mit Ruhm. 

Foto: Martin Bichsel

In Bern unterhalten die Schweizer NGO die Plattform Agenda 2030, «ein Zusammenschluss von rund 50 zivilgesellschaftlichen Akteuren aus den Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit, Umweltschutz, Gender, Frieden, nachhaltiges Wirtschaften sowie Gewerkschaften», wie es auf der Webseite der Plattform heisst. Und wie viele Leute arbeiten auf dieser Geschäftsstelle, die in Bundesbern politisches Lobbying für die Umsetzung der SDG in einem der reichsten Länder der Welt machen soll? Es ist eine (!) Person, die mit einem 60%-Pensum beschäftigt ist. 

Kein Wunder war es Eva Schmassmann irgendwann leid, Vernehmlassungen zu koordinieren und dem Bundesberner Politbetrieb bei der Verwaltung des Stillstands zuzuschauen. Zumal der Kä Luscht-Befund selbstverständlich nicht für die ganze Schweiz gilt. Im ganzen Land gibt es Kommunen, grössere und kleinere Initiativen, aber auch wissenschaftliche Institute, die ihre tagtägliche Arbeit bereits an den SDG ausrichten: Kampf gegen Foodwaste, Ungleichheit, Diskriminierung, für Klimaschutz, Biodiversität, verantwortungsvollen Konsum und Produktion, etc. 

Rückwärts zu schauen, sich zu beklagen war noch nie eine vielversprechende Strategie, um Dinge voranzubringen. Für Eva Schmassmann galt darum: Reden wir über das, was wir bereits erreicht haben. Mitte November hat sie in Bern den ersten Schweizer SDG Walk ins Leben gerufen, der Rundgang stellt jene Organisationen und Initiativen ins Rampenlicht, die heute schon zukunftsfähig sind und nicht auf die Politik warten mögen. Und davon gibt es in der Stadt Bern eine ganze Menge. Und auch das politische Bern schläft nicht: Bern hat sich als erste grosse Schweizer Stadt eine ‘Rahmenstrategie Nachhaltige Entwicklung’ (RAN 2030) gegeben.

Stadtpräsident Alec von Graffenried mit Eva Schmassmann, Koordinatorin der Plattform Agenda 2030 und Initiantin des ersten Schweizer SDG Walk. Foto: Daniel Hitzig

«Kennst du die SDGs?» – so wirbt der erste SDG Walk um Aufmerksamkeit. «Entdecke sie in Bern!» ist die Antwort. Der Walk lässt sich zwar gemütlich zuhause vom Sofa aus machen, tatsächlich ist er aber ein anderthalbstündiger Rundgang durch die Berner Altstadt, geführt vom eigenen Mobile bzw. der App izi.travel, die Texte zu den einzelnen Stationen – vom Bahnhof über die Kornhausbibliothek bis zum Progr – gibt’s dort auch als Audioguide.[1]

Der Berner SDG Walk ist ein ausgereiftes Pilotprojekt. Für eine Stadt wie Bern müsste er allerdings auch auf Französisch, Italienisch und Englisch verfügbar sein. Mit seiner Flughöhe – verständlich, nicht belehrend – soll er dazu beitragen, die SDG einem breiteren Publikum näher zu bringen. Denn immer mehr Menschen verstehen intuitiv: Nachhaltige Entwicklung ist keine verbiesterte Kopfgeburt, sondern hilft, die Herausforderungen unserer Zeit anzupacken und zu lösen; für einen Alltag, der Zukunft hat; lokal und global. 

Welche Schweizer Städte schicken ihre Bewohner- und Besucher:innen bald auf einen eigenen SDG Walk? Der Weg bis 2030 ist kein Spaziergang, aber der Walk ein guter Anfang. 

[1] Als alter Radiomensch habe ich die entsprechenden Texte eingesprochen. 
Disclaimer: Der Autor dieser Zeilen ist befangen. 

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