HQAI – wie bitte?

Wer stolpert nicht hin und wieder über Abkürzungen, denen man noch nie begegnet ist? Hinter den Buchstaben HQAI verbirgt sich die Humanitarian Quality Assurance Initiative, was wohl den meisten noch nicht viel weiterhilft. Wofür also steht HQAI (Englisch ausgesprochen: ëïtschkai)?

Am Anfang steht das Wissen und die unbestrittene Notwendigkeit, dass humanitäre Hilfe und Entwicklungsarbeit rechenschaftspflichtig sein müssen. Nicht nur gegenüber Geber*innen, egal ob das multilaterale Organisationen, Staaten oder Einzelpersonen sind, sondern vor allem auch jenen gegenüber, die von Konflikten, Katastrophen und Krisen betroffen sind. Denn sie sollen von Unterstützung profitieren, wie sie ihren Bedürfnissen und Vorstellungen entspricht. Wie werden Gelder eingesetzt, wie können diese Menschen Entscheidungen beeinflussen und – falls es nötig ist – sich beschweren, ohne dafür einen Nachteil zu erfahren? Und wie wird das kontrolliert? Das ist eine hochpolitische Frage, die an den Kern von internationaler Zusammenarbeit rührt, an das immer noch riesige Machtgefälle zwischen Nord und Süd.

Im Bereich der due diligence gibt es seit Jahren einen Wildwuchs an Überprüfungsmechanismen, an sogenannten Audits, die garantieren sollen, dass alles mit rechten Dingen zu und her geht. Das ist kompliziert, aufwändig und vor allem auch teuer – es kostet Geld, das letztlich nicht den Empfänger*innen zugutekommt. Audits dienen zuallererst den Geldgebern, die sich nach oben absichern wollen. So hat in der Praxis jeder grössere Geldgeber seine eigenen Prozesse und Anforderungen definiert. Effizient ist anders.

2014 wurden neun Grundprinzipien der humanitären Arbeit formuliert, zusammengefasst im Core Humanitarian Standard (CHS). Darin wird unter anderem festgehalten, dass Organisationen verletzlichen Menschen und Gemeinschaften, für die sie sich einsetzen, ein Mitspracherecht geben und dass es funktionierende, effiziente Feedback- und Beschwerdeinstanzen gibt. Wie nötig das ist, haben Fälle von Machtmissbrauch in den letzten Jahren gezeigt, diese haben jenen in die Hände gespielt, die humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit grundsätzlich in Frage stellen.

Die Umsetzung dieser Standards wird von der CHS Alliance unterstützt, einem breiten Zusammenschluss grosser internationaler (wie Act Alliance, Action Aid, Oxfam, Save the Children), aber auch von zahlreichen nationalen NGOs, darunter auch einige wenige aus der Schweiz. Ihr Ziel: Der CHS darf kein Lippenbekenntnis sein, vielmehr muss die Umsetzung des Standards regelmässig gemessen und überprüft werden. Hier kommt HQAI ins Spiel, bei dessen Gründung 2015 vor allem das IKRK Pate stand: Es braucht eine professionelle und unabhängige Prüfstelle, bei der sich Organisationen aller Grössenordnungen nach klar definierten professionellen Kriterien einschätzen und in regelmässigen Abständen bewerten lassen können. Dabei ist HQAI selbst eine nicht gewinn-orientierte NGO, die dasselbe Ziel wie seine Kund*innen – genannt partners – verfolgt: Die qualitative Verbesserung der humanitären Hilfe und der Entwicklungsarbeit im Interesse jener, der diese zugute kommt.  

Der CHS gilt selbstverständlich nicht nur für Organisationen aus reichen Ländern, welche die Angelsachsen so treffend als aid industry bezeichnen und die gerne auch etwas verschämt ‘der Sektor’ genannt wird. Fortschrittliche Kräfte im Sektor haben längst erkannt, dass wir in einer zweiten Phase der Dekolonisierung stecken und es höchste Zeit ist, die Unterstützungsarbeit zu ‘lokalisieren’: Entscheidungen müssen vor Ort getroffen werden und dementsprechend ist auch die Rechenschaftspflicht dort anzusiedeln.  HQAI unterhält darum einen subsidy fund, mit dem kleinere, nationale NGOs aus dem Süden ihre Arbeit von HQAI weitgehend kostenlos evaluieren lassen und sich so im Interesse der Menschen, für die sie sich einsetzen, verbessern können.

HQAI ist ein sperriger und wohl auch nicht ideal gewählter Name. Denn die Organisation arbeitet nicht nur für den humanitären, sondern auch den Entwicklungsbereich. Und sie ist längst mehr als nur eine Initiative, sie müsste also eigentlich HDQA (Humanitarian and Development Quality Assurance) heissen – was dann allerdings ein noch unmöglicherer Zungenbrecher wäre. Geschenkt, süffiges Branding war bei der Gründung von HQAI offenbar kein prioritärer Punkt. Wobei es kaum am Branding liegt, dass es das Thema «Rechenschaft ablegen» in der Regel eh nur dann in die Medien und die breitere Öffentlichkeit schafft, wenn es sich skandalisieren und instrumentalisiern lässt.  

Als neu gewähltem Mitglied des board of directors von HQAI bin ich überzeugt davon, dass unabhängige Qualitätssicherung grosses Potenzial hat, den nötigen Wandel in humanitären und Entwicklungsorganisationen voranzubringen. Dabei liegt es an den grossen Gebern – darunter auch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) – dem Anliegen von HQAI, das immer noch im Aufbau steckt, zum Durchbruch zu verhelfen. In dem sie mithelfen, die schrötige aber nötige due diligence zu vereinfachen, zu vereinheitlichen und damit als Ganzes zu stärken. 

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