Die Stimme der Vernunft

Freitagabend, 9. Dezember 2022. Der Bogen F, die Konzert-Location angenehmer Grösse im Zürcher Industriequartier, ist mit vielleicht 120 Leuten gut gefüllt. Der Altersdurchschnitt des Publikums liegt unter 60 Jahren, keine Selbstverständlichkeit, schliesslich ist der namengebende Protagonist der Band (Dominique) Grandjean, näher bei 80 als 70. Vereinzelt sind bekannte Szenegänger:innen von damals auszumachen, wobei Dominiques musikalisch dokumentiertes «Damals» bis 1975 zurückreicht. Auf der LP HEI, WAS SÖLL I MACHE? von Tabbis Nukkerli steuerte er ein paar schräge Saxofon-Solos bei. 1977 erschien dann das Album ES ISCH ALS GÄBS MICH NÜME ME…, das zwar den Bandnamen Taxi trug, aber eigentlich Dominiques Studio-Projekt war. Das Probelokal befand sich im Keller des Hauses von Dieter Meier in Zollikerberg und stand den verschiedensten Künstlern aus der Zürcher Bohème offen, die mit Meier befreundet waren. Dort entstanden diverse Gruppen und Projekte, unter anderem Meiers eigene Band The Assholes, die später zur Gründung von Yello führte. Hier entwarf Grandjean, damals Assistenzarzt in der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli, als Komponist, (Dialekt-)Texter, Sänger, Keyboarder und Saxophonist auf einem kleinen Mehrspur-Tonband seine Ideen und Skizzen. Diese wurden danach in einer einmonatigen Session unter der Regie von Produzent Etienne Conod im legendären Sunrise Studio in Kirchberg im Toggenburg aufgenommen. Auf der ersten und einzigen Taxi-LP findet sich das Original des Songs «Campari Soda», das es Jahrzehnte später in einen Werbespot der SWISS, in den Mainstream und das Repertoire so verschiedener Schweizer Künstler und Bands wie Stephan Eicher, Span, Michael von der Heide und Stiller Has schaffte.

Während der weltgewandte Meier mit Yello bald (s)eine Weltkarriere startete, gründete Grandjean die Gruppe Hertz, der er die zeitlose Byline «Die Stimme der Vernunft» verpasste. Ihr hat die Schweizer Musikszene so unsterbliche Klassiker wie «Jodel», «Diebe», «Gottharddurchstich» oder «Willy Ritschard» zu verdanken. Gesungen wurde nicht mehr auf Züritüüsch, sondern in lokal gefärbtem Hochdeutsch. Und einmal auch auf Englisch, 1981 «SOS» von Abba aufzunehmen, das passte im etwas puritanischen Bewegigs-Züri zu einer Band, die immer machte, was sie gut und richtig fand.

An diesem Abend im Dezember 2022 stellt Dominique die neue LP HEUTE BIST DU DIESER, MORGER DER vor, die Band heisst nicht mehr Hertz, sondern Grandjean. Nicht von ungefähr, denn den Bass spielt seine Tochter Renée, die auch singt, Gitarrist Sascha Greuter könnte auch Schweinerock-Soli spielen, konzentriert sich aber auf Rhythmus und Devo-artige Riffs, die in die Beine fahren. Dafür sorgt auch Drummer Michael Boxer, der schon Mitte 1970er Jahre mit Dominique spielte, dann das Reiseunternehmen Transa gründete. Das bürgerlich-merkantile Zürich halt, schliesslich probte man auch in Dieter Meiers Keller.

Wen wunderts, auch Dominique ist älter geworden, was man ihm aber nicht anhört. Er ist immer noch derselbe etwas linkisch verschmitzte Bandleader und hat sichtbar Freude, wieder einmal auf der Bühne zu stehen. Grandjean spielen an diesem Abend 19 Songs, einen Querschnitt durch Dominiques Oeuvre seit Mitte der 1970er Jahre, es gipfelt in den beiden Taxi-Krachern «H.D.H.K.L.» und «Babalu Bar». 

Mit den Songs der neuen LP gilt es sich noch etwas anzufreunden, textlich und musikalisch sind sie so gut und eigenwillig wie wir es von Dominique Grandjean erwarten können. Zu Beginn kann die Band ihre Nervosität kaum verbergen, mit zunehmender Konzertdauer wird sie immer präziser und mitreissender. Dieser eckige Charme, dieses originär Zürcherische, Nimmerland am Rand der Grünzone eben. Es wird mitgewippt, getanzt, mitgesungen. Am Schluss sind die Herzen offen, die Platte würdig getauft. 

Grandjean treten am Donnerstag, 18. Mai 2023 (Auffahrt) zusammen mit der Neo-Ska-Band Peek-A-Boo im Kanzlei Club auf. Es handelt sich (auch) um ein Revival der Non profit-Konzertagentur Low Budget, zu deren Gründern ich 1979 gehörte.
Zum Vorverkauf geht’s via
kanzlei.ch

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