Vertrauen oder Kontrolle?

Die Redewendung «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» wird Lenin zugeschrieben, weiss Wikipedia. Belegt sei allerdings nur, dass Lenin oft gemahnt habe, «vertraue, aber prüfe nach!». Ein Entweder-oder, entweder Vertrauen oder Kontrolle ist natürlich Unfug, denn echtes Vertrauen kann nur auf der Basis von (überprüften) Fakten entstehen, die am besten aus der Hand einer unparteiischen Instanz kommen. Denn ohne Kontrolle neigen gewisse Menschen dazu, sich selbst Vorteile zu verschaffen, was bis zum handfesten Betrug gehen kann. Und klar: Dafür zu sorgen, dass Kontrollen zahnlos sind und Überprüfungen leichter zu umgehen sind, das kann Teil eines Geschäftsmodells sein.

Mich interessiert die Frage nach Rechenschaft (accountability) schon länger. Bei der Diskussion um die Verantwortung von Konzernen geht es darum, eine Rechenschaftspflicht gesetzlich festzuschreiben. Und es ist blauäugig bzw. nicht zielführend in diesem Fall bloss auf Eigenverantwortung zu setzen – weil unverantwortliches Handeln eben auch Teil des Geschäftsmodells sein kann.

Auch in der internationalen Zusammenarbeit (IZA) – egal ob in der Entwicklungszusammenarbeit oder der Nothilfe – sind Kontrolle bzw. Vertrauen entscheidende Währungen. Wer Geld gibt, egal ob ein staatlicher Donor, der Millionen bezahlt oder eine Kleinspenderin, beide wollen sicher sein, dass der Einsatz des Geldes in seinem bzw. ihrem Sinn ist. Und vergessen wir dabei nicht diejenigen Menschen, die in der ersten Reihe stehen, die direkt von Krisen getroffen sind. Ihnen schulden wir am meisten Rechenschaft, das ist eine ethische Verantwortung, die nicht mit Geld aufgewogen werden kann.

Solche Überprüfungen und Kontrollen, bei denen es nicht zuletzt um die Verwendung von Steuergeldern geht, sind ein hochkomplexes Thema, mit dem ich mich bei meiner Arbeit als Vizepräsident von HQAI auseinandersetze. Für NGOs bedeuten Rechenschaftsberichte, Audits und Zertifizierungen einen beträchtlichen Aufwand. Deren Reflex, dass die Gelder, die dafür eingesetzt werden müssen, besser für Hilfs- oder Entwicklungsprogramme verwendet würden, ist darum zwar nachvollziehbar, aber trotzdem falsch. Die Kritik, dass sich rund um die IZA eine Hilfsindustrie mit einer (Kontroll-)Bürokratie gebildet hat, ist verständlich und nachvollziehbar, aber sie greift zu kurz. Wirklich ärgerlich sind in diesem Zusammenhang andere Dinge: Wenn dasselbe mehrmals von verschiedenen Donors und ihren Kontrollorganen geprüft wird, wenn es bei der Herstellung von Vertrauen an Koordination und Effizienz mangelt.   

Wie andere mahlen auch die Mühlen in der IZA langsam. Es braucht oft Jahre bis Althergebrachtes hinterfragt wird und neue Erkenntnisse in die Tat umgesetzt werden. Eine solche Erkenntnis ist, dass die von Krisen und Katastrophen, von Unterentwicklung oder Klimawandel Betroffenen mehr Mitsprache brauchen. Sie sollen an zentraler Stelle in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden, wie geholfen werden soll. Eine praktikable Grundlage dafür ist der sogenannte Core Humanitarian Standard. Über das Thema Lokalisierung habe ich unlängst in der NZZ diesen Meinungsartikel veröffentlicht. Damit Lokalisierung gelingen kann und der Nord-Süd-Graben tatsächlich verringert werden kann, dafür braucht es Kontrolle. Denn Vertrauen ist ein zu hohes Gut, um es aufs Spiel zu setzen.

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