Ach Schweiz, du und deine Expos…

Vier Projekte buhlen um die Gunst der Landesregierung, die nächste Landesausstellung durchführen zu dürfen. Doch der Bundesrat zaudert und zögert – die Schweiz und ihre Expos ist eine Geschichte voller peinlicher Déjà vus.
Mit einem anderen Ansatz will ein Verein alle fünf Jahre einer «Schweizer Kulturhauptstadt» zu nationaler Beachtung verhelfen. Schon 2025 soll es mit La Chaux-de-Fonds als Capitale Culturelle Suisse losgehen.

Das Medienecho auf die Mitteilung des Bundesrats («Bundesrat begrüsst eine nächste Landesausstellung») von Ende Juni war dürftig. Nur der Luzerner Zeitung war das Thema einen Artikel wert, der resümierte, dass das Projekt Svizra27 mit Schirmherrin Doris Leuthard aktuell die besten Karten hat und diese ohne Not auch nicht hergeben mag. Mit der ihr eigenen Behäbigkeit hat die NZZ im Sommerloch nachgezogen: Für eine Expo 2027 sei der Zug bereits abgefahren und schliesslich mit einer luziden Würdigung der Expo.02, wo «Skepsis schliesslich Begeisterung wich». Richtigerweise hält Simon Hehli fest: «Die breite Bevölkerung interessiert sich noch kaum für die Projekte, aber das muss – wie die Expo.02 zeigte – kein Anlass zur Sorge sein.» Und «aus der Geschichte lassen sich auch (…) Lehren ziehen» wie diese: «Wer ein rauschendes Fest feiern will, sollte nicht knausrig sein. (…) Und allzu grosse Hoffnungen auf die Grosszügigkeit der Privatwirtschaft sollte man nicht setzen. Es ist der Staat, der den Hauptteil der Kosten tragen muss. Das muss man sich als Gesellschaft leisten wollen».

Bis Ende Jahr will die Landesregierung also einen «Bericht über die Rahmenbedingungen für eine Landesaustellung» verabschieden. Der Bundesrat wird darin die «Rollen und Aufgaben von Bund, Kantonen und Trägerschaften sowie wichtige Prozesse vertiefen». Bis dann hofft er, dass sich die Trägerschaften der vier Projekte – neben Svizra27 aus der Nordwestschweiz sind dies das Städteprojekt NEXPO, das Mitmachprojekt X27 sowie der Alpenverbund Muntagna – zu einem einzigen Projekt zusammenraufen. Gelinge das nicht, «stelle sich die Frage eines Auswahlverfahrens». Und, damit das schon jetzt hinlänglich klar ist, folgt in vollendetem Beamtensprech: «Eine allfällige finanzielle Unterstützung durch den Bund und die Standortkantone ist je nach Ausgestaltung des Projektes und der Rollenteilung durch die jeweiligen Parlamente unter Berücksichtigung der Haushaltlage und weiterer finanzpolitischer Prioritäten zu bestimmen.» Willkommen in der Schweiz!

Keine Frage, die Expo.02 war ein planerisches Fiasko, die Eidg. Finanzkontrolle sprach in ihrem Bericht von 2005 von einem Fehlbetrag für die Bundeskasse von «rund 1 Mia. statt 130 Mio.». Doch in diesem Land wird für Fragwürdigeres ein Mehrfaches ausgegeben als für eine Landesausstellung, die «einen kulturellen, gesamtwirtschaftlichen und nachhaltigen Nutzen für die ganze Schweiz (zu) generieren» vermag. Aber im Umgang mit der eigenen Geschichte, Identität und Rolle in Europa und der Welt zeigte sich dieses Land bekanntermassen noch nie sehr souverän.

Eine andere Herangehensweise: «Schweizer Kulturhauptstadt»

Prominente Veteranen der letzten Landesausstellung aus der Suisse romande um Daniel Rosselat, den Gründer des Paléo-Festivals und Stadtpräsident von Nyon, gründeten 2015 den Verein Capitale Culturelle Suisse (CSS) mit dem Ziel, «über die Kultur einen Beitrag zur langfristigen Entwicklung der Städte und Regionen gemäss ihren jeweiligen Bedürfnissen (zu) leisten». Die Idee, Kulturhauptstädte zu küren, ist alles andere als neu, die Europäische Union macht das seit 1985 und dieses Jahr darf sich gar Novi Sad (Serbien) mit dem Titel schmücken. Weil es auch hierzulande zwar Städte mit reichlich Geschichte und Kultur gibt, die überregionale Aufmerksamkeit verdienen, uns aber ein endlos verkorkstes Verhältnis zur EU lähmt, liegt die Idee schon fast auf der Hand, unterschätzte kleinere Städte auch ohne EU ins Rampenlicht zu rücken. Anders als in der EU mit ihren 450 Mio. soll in der Schweiz jedoch bloss alle fünf Jahre eine Kulturhauptstadt gekürt werden.

2025 wird es mit La Chaux-de-Fonds losgehen. Die Grundlage, die Métropole horlogère als erste Schweizer Kulturhauptstadt auszuwählen, legte eine Studie der Kulturstiftung La Marmite, seit letztem Jahr ist in La Tchaux, wie die Einheimischen sagen, ein engagiertes kleines Team an der Arbeit, um das Projekt zu konkretisieren. Am 20. Juni schliesslich haben sie ihre Arbeit den Medien vorgestellt. Bis im Herbst wollen die Verantwortlichen das Lobbying zur Finanzierung von CCS2300 – das Kürzel steht für die Capitale Culturelle Suisse mit der Postleitzahl 2300 – vorantreiben. Wie in der Schweiz üblich, sollen die Kosten für den Grossanlass zwischen der Wirtschaft, der öffentlichen Hand und Kultursponsoren (Loterie Romande) aufgeteilt werden. Interessanterweise vermeiden die Initiant:innen in ihrer Kommunikation von Geld zu sprechen, obwohl sie mit einem Budget von 15 bis 20 Mio. durchaus darauf hinweisen könnten, dass die Umsetzung ihrer Pläne rund hundert Mal weniger kosten sollen als eine Landesausstellung.

Vor Kurzem war ich zu Besuch in La Chaux-de-Fonds, einer Stadt die sich mit ihrem herben Charme so wohltuend von der hipsterigen Nervosität von Zürich abhebt. Dabei leidet La Tchaux seit längerem unter einem Imagedefizit, da hilft auch wenig, dass sie gleich doppelt auf der Liste der Unesco-Weltkulturerbe figuriert, für ihren Städtebau und die Rolle, die sie bei der Entwicklung des Uhrmacherhandwerks gespielt hat.
Das Zentrum von CSS2300 soll im ehemaligen Schlachthof (anciens abbatoirs, s. Bild) liegen, einer Industriekathedrale, die einst für eine Bevölkerung von 100'000 Einwohner:innen gebaut wurde. Diese Zahl wurde zwar bei weitem nicht erreicht, geblieben ist der Wille, gemeinsam an der Peripherie der Schweiz an der Zukunft zu arbeiten. «Faire La Chaux-de-Fonds» wird das Motto der ersten Schweizer Kulturhauptstadt lauten. Es ist eine Redensweise, der für die einfachen und authentischen Begegnungen steht, wenn sich ein Abend um den Tisch in einer Küche der Arbeiterstadt gesellig in die Länge zieht. Wenig überraschend, aber nicht weniger richtig, sollen sich die Themen von CSS2300 um die Zeit, die Natur, das Klima und die nahe Grenze drehen. Denn im auf 1000 Meter gelegenen La Chaux-de-Fonds gibt es keine Agglomeration. Wo die Stadt endet, dominieren sofort die Weiden und Tannen des Jura die Szenerie. Im Lauf des Jahres 2025 sollen eine Million Besucher:innen nach La Chaux-de-Fonds kommen, das klingt nach viel, doch wer in der Deutschschweiz weiss schon, dass alleine das sommerliche Strassenkunstfestival La Plage des Six Pompes jedes Jahr Zehntausende in die Jurametropole zieht?

PS. Der treffliche Entscheid La Chaux-de-Fonds zur ersten Schweizer Kulturhauptstadt auszurufen, wurde aufgrund von Vorstudien im kleinen Kreis gefällt. Die Dossiers der Kulturhauptstadt 2030 wird eine Jury beurteilen, in die ich diesen Frühling berufen wurde. Für 2025 beschränkt sich deren Aufgabe darauf, als Botschafter die Idee Kulturhauptstadt bekannt zu machen und La Chaux-de-Fonds zu unterstützen.   

PPS. (8. August) Obigen Text habe ich in meinem Newsletter #2 verlinkt. Eine Reaktion war, wie kannst du über La Chaux-de-Fonds schreiben, ohne zu erwähnen, dass es Le Corbusiers Heimatstadt ist? Dieses Wochenende habe ich die Maison blanche in La Chaux-de-Fonds besucht, das Haus, das Charles-Edouard Jeanneret 1912 für seine Eltern baute. Es war sein erster Bau als selbständiger Architekt. Ab 1920 nannte er sich nach einem Vorfahren mütterlicherseits, der Lecorbésier hiess, Le Corbusier. Ein Ölgemälde von Monsieur Lecorbésier hängt im Salon der Maison blanche.
Der Rest ist Architekturgeschichte.

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