8424 – kes Gliir

Züri West hei e neui Schibe gmacht, wie man in Bern sagt. Lang ist’s her, dass ein Tonträger eine Scheibe war, auch ES LOCH DÜR D’ZYT hören wohl die meisten digital. Wobei es die alten Fans gerne noch physisch mögen, die grosse Nachfrage nach der CD war sogar der Tagesschau einen Beitrag wert. Und mit dem nachgeschobenen Vinyl wird die Band sogar etwas weniges verdienen. Züri West hatten sich ja lange geweigert, ihre Musik bei Spotify oder Apple quasi zu verschenken, eine Position, die sie irgendwann aufgegeben haben. Auch diesen Entscheid haben sie wohl nach endlosem Gliir getroffen, wie alle Entscheide in der 40jährigen Band-Geschichte rund um «die Achse» der beiden Ur-Mitglieder Kuno Lauener und Küse Fehlmann.

Vieles aus dieser 40jährigen Beziehung erfährt man im sechsteiligen Podcast 8424 von This Wachter, einer sorgfältigen Produktion, die Massstäbe setzt. Der Podcast hat mich mitgenommen auf eine Zeitreise, nicht zuletzt durch die eigenen letzten vierzig Jahre, in denen Züri West mal mehr, mal weniger, aber doch immer präsent waren. Schliesslich spiegelt sich in guter Musik das grosse Ganze, Politik und Zeitgeist genauso wie das tägliche Kleinklein und nicht zuletzt der Umgang mit Unausweichlichem – dem Älterwerden, der Vergänglichkeit.

Keiner Schweizer Band gelingt es so gut, Inneres nach aussen zu kehren, kein Texter schafft es wie Kuno, den langen trägen Fluss genannt Leben in träfe Worte zu fassen. Was, keine Frage, sehr schnell peinlich werden kann. Dank der ihm eigenen Selbstironie umschifft Kuno die Absturzgefahr, so dass wir ihm zuhören beim Wachliegen im Bett, beim Genug-von-sich-selbst-haben, dem Kultivieren von Schissluun und einer gewissen Weinerlichkeit, die da mitschwingt. Das funktioniert, weil wir das alle selbst kennen und gelernt haben, dass wir nicht vor uns selbst davonlaufen können. Condition humaine eben.

Das ist die zu Melancholie neigende Seite von Züri West, die aus naheliegenden Gründen eher dem Spätwerk zuzuordnen ist. Doch es gab und gibt auch die andere, dem Leben zugewandte: Liebe! Freundschaft! Rock’n’Roll! Rauchen, Trinken, Drögele! Das flüchtige Gefühl, en geile Siech zu sein, wie es einst augenzwinkernd auf einem Züri West-T-Shirt stand.
Züri West trafen damit seit 1984 das Gefühl einer Generation, die mehr als nur eine Ahnung davon hatte, was es mit toxischer Männlichkeit auf sich hat; lange bevor der Begriff Karriere machte. Nicht umsonst waren/sind viele Frauen angetan von der Band und ihrer eigenen Art von Sex appeal. Das lässt sich nicht spielen, dieser unernste Ernst.

In den drei Stunden Podcast erfahren Hörer:innen von den Hochs und Tiefs der Band, von Aus- und Einstieg von wichtigen Bandmitgliedern, der zentralen Rolle, die Manager:innen über all die Jahre spielten. Von Bubenzeugs, wie dem nicht ganz ziellosen Rumhängen in Plattenläden, von denen es einst in Bern eine ganze Menge gab, dem Frust über und der Begeisterung für YB, mehr oder weniger glückliche Liebschaften, was sich dann früher oder später in Songs und einer Art Züri West-Lebensgefühl niedergeschlagen hat. Wie die Songs entstehen, wie Kuno an seinen Texten leidet, wie alle in der Band an eigenen Ideen feilen und gemeinsam der Züri West-Sound entsteht, wieviel Gliir es dafür braucht – auch davon erzählt 8424. Und dass es oft mühsame Prozesse waren, zu denen auch Verletzungen gehörten. Ob da auch beschönigt wird, das wissen nur die, die dabei waren. Egal, wichtiger ist, dass aus dem Mosaik aller Statements Achtsamkeit und Ehrlichkeit im Umgang miteinander herauszuhören ist. Was bedeutet Kunos Krankheit – 2018 wurde MS diagnostiziert – für ihn und die Band, für die neu dazu gekommenen Bandmitglieder, die den Kick mit Züri West live aufzutreten eher nicht mehr erleben werden? Wir erfahren von einer verunglückten Deutschland-Tournee, die in einem Konzertverriss des von mir geschätzten Satirikers Wiglaf Droste («Grönemeyer kann nicht tanzen») gipfelte, ein gnadenloser Crash von zurückhaltendem Berner Szenecharme und Berliner Schnauze ganz ohne Airbag, offenbar tut es heute noch weh.

Ach ja, di neu Schibe. Auch mir gefällt sie gut. Wie das gute Platten an sich haben, bei jedem Hören noch etwas besser. Was mich beim jüngsten Züri West-Hype einmal mehr verblüfft hat: Nur  Züri West schaffen es, für mehrere Jahre abzutauchen und dann plötzlich wieder in aller Munde bzw. Ohren zu sein. Vo nüt chunt nüt! Chapeau!

 

Zurück
Zurück

KI macht Kunst

Weiter
Weiter

Gaza – mein (vorläufiges) Fazit